


„Ich mache weiter!“
Leichtathlet Wojtek Czyz hängt noch ein Jahr dran
Mit den Paralympischen Spielen in London 2012 sollte eigentlich Schluss sein, doch was der Ausnahmesportler Wojtek Czyz vor rund vier Wochen beim Empfang der Stadt Kaiserslautern angekündigt hat, setzt er jetzt in die Tat um. Er hängt noch ein Jahr dran – und er hat gute Gründe dafür.
Eigentlich könnte er sich locker zurücklehnen und auf eine grandiose Karriere als Sportler zurückblicken. Der mehrfache Europa- und Weltmeister hat in den Disziplinen Weitsprung, 100 und 200 Meter-Läufen und in der 4 x 100 Meter-Staffel alles erreicht, was nur geht. Er ist Weltrekordler und hat an drei paralympischen Spielen teilgenommen, ebenfalls mit Gold-, Silber und Bronzemedaillen, davon eine Silber- und zwei Bronzemedaillen zuletzt in London 2012. Er hat seit Mai 2012 sein Sportstudium in Köln abgeschlossen und sein Diplom erhalten. Eigentlich genau der Zeitpunkt, die Sportkarriere an den Nagel zu hängen und etwas Neues anzufangen. Doch Wojtek Czyz wäre nicht er, wenn es so einfach wäre. Er hat sich selbst noch einmal den Kampf angesagt. Er will es wissen: geht es doch noch besser?
Erfolge, Medaillen und Ehrungen
Wojtek Czyz wurde im September 2012 von Oberbürgermeister Dr. Klaus Weichel im Pfalzgrafensaal empfangen und trug sich zum zweiten Mal nach 2008 ins Goldene Buch der Stadt Kaiserslautern ein. „Die Stadt ist stolz auf deine Leistungen und es gehört sicher zu den schönsten Momenten eines Oberbürgermeisters die großen Erfolge von Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zu würdigen. Mit dir begrüßen wir einen Ausnahmesportler, Weltrekordler… sozusagen einen Medaillensammler und ein Vorbild für uns alle”, so der Rathauschef beim Empfang. Und weil er nicht nur ein herausragender Botschafter für den Sport im Allgemeinen und im Besonderen für den Behindertensport, sondern auch für den 1. FCK und die Stadt Kaiserslautern ist, zeichnete ihn der Oberbürgermeister als Anerkennung für seine überragende sportliche Leistung mit der Silberplakette der Stadt Kaiserslautern aus. Für Wojtek Czyz ein bewegender Moment. „Für mich ist dieser Tag heute ein ganz besonderer Tag“, begann er seine Rede. “Ich habe heute Jahrestag: genau heute vor 11 Jahren erlitt ich meinen Unfall”, sagte er sichtlich bewegt. Ein Sportunfall beim Fußball, der ihn sein linkes Knie und seinen linken Unterschenkel gekostet hat. „Dieser Tag heute ist deshalb etwas ganz Besonderes für mich, eine Zeitreise. Seitdem ist eine große Entwicklung passiert.“ Er hat sein Schicksal angenommen, seine sportlichen Erfolge zeugen davon.
London 2012
Es sollte der Abschluss seiner Leichtathletikkarriere werden. Noch einmal in allen Disziplinen antreten und sein Bestes geben, obwohl er wusste, dass er in zwei von drei Disziplinen keine echte Medaillenchance haben würde. Er hat gekämpft und das Ergebnis war umso schöner für ihn: eine Silber- und zwei Bronzemedaillen. „London war für mich die schönste aber auch schwerste Olympiade, weil eine rasante Entwicklung stattgefunden hat“, erzählt er rückblickend. „Heute sehen viele junge Sportler diesen Sport genauso professionell wie ich, was mir damals noch vorgeworfen wurde“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Deshalb sehe diese Fights auf der Bahn als so toll an. Es war für mich eine phantastische Begegnung mit tollen Sportlern, eine Begegnung mit einer unglaublichen Stimmung, und heute sagen zu dürfen: ich gehöre zu den zwei oder drei Top-Athleten in der Welt, ist überwältigend.“ Es waren seine letzten Paralympischen Spiele, aber nicht seine letzten Wettkämpfe. „In London sind Dinge passiert, die mich sehr motiviert haben, noch ein Jahr dran zu hängen!“
Frust und Ärger
Die Frage, warum er weitermacht, beantwortet Wojtek Czyz mit einem Satz: „Weil es nach wie vor immer noch riesig Spaß macht und weil mich diese ganze Geschichte bei den Paralympics geärgert hat und nach wie vor ärgert!“ Dass ein Sportler Prothesenteile zur Verfügung gestellt bekam, er und andere Athleten aber nicht – für ihn ist das technisches Doping. „Ich habe diese Teile jetzt erst vor Kurzem (Mitte Oktober) zugeschickt bekommen. Es juckt mich natürlich, jetzt herauszufinden, wie es ist, mit diesen Teilen zu rennen und den einen oder anderen Wettkampf zu machen.“
Rückblick: Wojtek Czyz hat kurz vor dem 100-Meter-Finale in London bemängelt, dass neue Prothesenteile auf dem Markt sind, die aber nur einem Athleten, Heinrich Popow, zur Verfügung gestellt wurden. Wojtek Czyz wehrt sich auch gegen die Vorwürfe, er habe vor dem paralympischen Finallauf Druck auf Popow aufbauen wollen. „Das ist Quatsch! Es geht darum, dass er Teile benutzt hat, die nicht frei verkäuflich auf dem Markt für jeden Athleten zugänglich waren. Das Reglement schreibt vor, dass ein Athlet mit so einer Prothese nicht laufen darf. Laut Statuten ist das irregulär!“ Das Problem: es gab keine Kontrollinstanz, die das vor Ort kontrolliert hätte. „Selbst als ich es angesprochen haben und darum gebeten habe, dass man sich das mal ansieht, gab es keine Ansprechperson, die sich darum gekümmert hat und diese Prothese dann kontrolliert und als okay „abgenommen“ hat. Und wir sprechen hier von den Paralympischen Spielen!“
Verband schweigt
Doch auch der Deutsche Behindertensportverband ist alles andere als daran interessiert, diesen Vorwürfen von Wojtek Czyz nachzugehen. Wenn ein eigener Athlet einem anderen solche Vorwürfe macht, und Wojtek Czyz spricht hier von „technischem Doping“, müsste ein Verband dann nicht eine Untersuchung einleiten? „Wenn ich Unrecht hätte, und wenn ich solche Dinge von mir gebe, müsste ich sanktioniert werden. Man will der Sache aber nicht nachgehen. Natürlich hat man mich versucht, in die Ecke „schlechter Verlierer“ usw. zu schieben. Deshalb war es mir auch so wichtig, genau diesen Zeitpunkt vor dem 100-Meter-Finale zu wählen. Vor den olympischen Spielen konnte ich nichts sagen, weil ich ja nicht wusste, ob Heinrich Popow mit diesem Knie läuft. Beim ersten Wettkampf (Weitsprung) hat er das Knie mit einer langen Hose verdeckt, d.h. ich konnte es nicht sehen. Bei den 200 Metern habe ich es erstmals sehen können. Er hat seine Bestleistung um Siebenzehntel verbessert. Das ist nur zurückzuführen auf das Knie. Einen Tag später habe ich über die Pressestelle des Deutschen Behindertensportverbandes bei ZDF und ARD (Übertragung der Paralympischen Spiele) angefragt, ob man mir ein Interview zu diesem Thema ermöglicht. Der ARD-Co-Kommentator (Abteilungsleiter von Bayer Leverkusen = Verein von Popow) hatte kein Interesse. Und auch das ZDF hatte kein Interesse. Ich hatte also keine andere Möglichkeit als nach dem Vorlauf darüber zu sprechen.“
Eine besondere Brisanz bekommt die Geschichte, wenn man sich das Unternehmen ansieht, das ausschließlich Heinrich Popow mit dem neuen Knie versorgt hat und es allen anderen Athleten versagt hat. Ottobock ist seit 2005 offiziell „Worldwide Partner of the Paraylmpic Movement”, also Kooperationspartner des Internationalen Paralympischen Komitees und auch Sponsor des Deutschen Behindertensportverbandes. Wojtek Czyz: „Da muss die Frage erlaubt sein: Wie weit ist es verträglich, wenn ein Athlet gesponsert wird von einem Unternehmen, das gleichzeitig Sponsor der Paralympischen Spiele ist, aber auch gleichzeitig ein großes Interesse daran hat, dass dieser Athlet ja auch gewinnt, aber anderen Athleten die Teile vorenthält. Und das trotz der Regel, dass keine Bauteile verwendet werden dürfen, die nicht offiziell auf dem Markt sind und zu denen andere Athleten keinen Zugang haben.“
Die Herausforderung
Wojtek Czyz hat mit seinem Trainer sämtliches Bild- und Videomaterial gesichtet und gemeinsam wollen sie diese Geschichte aufarbeiten. Er selbst empfindet es als ungerecht, dass „so ein Athlet“ nun auch noch vom Verband als Sportler des Jahres vorgeschlagen wurde. Doch neben seinem Ärger ist diese Vorgehensweise auch Ansporn für Wojtek Czyz. Und er wäre nicht er, würde er die Herausforderung nicht auf dem Platz suchen. „Das war immer mein Ding und wird es auch für das kommende Jahr sein“, freut er sich auf die Wettkämpfe mit dem neuen Knie. Er will wissen, wie weit er hätte gehen können und was noch drin ist. Auf die Frage, in welchen Disziplinen er antritt, sagt er: „Ich sehe das jetzt ein bisschen lockerer. Also auf jeden Fall 100 Meter und Weitsprung.“
Artikel drucken | Dieser Beitrag wurde von Wojtek am 25. Oktober 2012 um 08:39 veröffentlicht und unter Allgemein abgelegt. Du kannst allen Antworten zu diesem Beitrag durch RSS 2.0 folgen. Kommentare und Pings sind momentan deaktiviert. |
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